Leben ist eine wunderbare Reise der Veränderung. Und diese geht Tag für Tag weiter. Und genau auf diese möchte ich Dich gern mitnehmen und berichte daher hier in regelmäßigen Abständen von den Dingen, die mich bewegen. 

München 

Völlig losgelöst

Schwerelosigkeit ist normalerweise Astronauten vorbehalten. Doch dieses Gefühl soll auch bei einer neuen Form des Yoga möglich sein. Wie sich der große Traum vom Fliegen in einem Raum mitten in München anfühlt, ich hab's ausprobiert.

Yoga auf der Matte praktiziere ich schon länger. Aber Yoga in der Luft, schwebend in einem großen Tuch: das stelle ich mir spannend vor. Zumal Aerial Yoga, der neue Fitness-Trend aus den USA, diversen Anbietern zufolge, gelenkschonend funktionieren, die Bänder dehnen und die Muskeln trainieren soll. Verbunden mit dem wunderbaren Gefühl von Losgelöstsein und Freiheit. Was könnte es Schöneres geben? Möglich machen sollen dies von der Decke hängende, etwa drei Meter breite trapezförmige Lycra-Tücher. Die Übungen selbst werden mal hängend, schwebend und manchmal auch schaukelnd ausgeübt. Eine gute Gelegenheit, entspannt in einem Tuch abzuhängen, bietet ein Aufenthalt in München. Bis nach Südtirol, ist der Upside Down-Trend noch nicht übergeschwappt. Ich entscheide mich für das schicke Studio in der Schrannenhalle. Beim Eintreten strömt mir ein holzig-zitroniger Duft, wie man ihn nur aus Spa-Oasen kennt, entgegen. Ein wohliges Gefühl macht sich in mir breit. Im Eingangsbereich stehen mindestens 20 Paar Schuhe und über diesen schwebt die imaginäre Botschaft: „Der Alltag hat hier keinen Zutritt!“ Mein Stresspensum scheint zu sinken, bevor die Stunde überhaupt begonnen hat - meditative Musik plätschert im Hintergrund. Nach einem kurzen Gespräch mit der Empfangsdame und 25 Euro weniger im Portmonee, mache ich mich auf in die Umkleidekabine, die einen Stock höher liegt. Auf dem Weg dorthin stolpere ich fast über ein Blütenmeer von Rosenblättern, das am Boden vor einer Wandmalerei daliegt. Hier wurde die Liebe zum Detail wohl sehr genau ausgelegt. In Yogaklamotten und voller Enthusiasmus betrete ich den großzügigen Übungsraum, wo ich über das ausladende Fenster, das den Blick auf Münchens Innenstadt freigibt, staune. Das hektische Treiben von dieser Distanz aus zu betrachten, ist wie in einer Seifenblase zu sitzen. Fragt sich bloß, wie lange dieser Zustand anhält. Die Merchandising-Produkte in einer Nische des Yogalofts, lassen diese Blase im Nu zerplatzen: Hosen, T-Shirts, Yogamatten, alles was das Yogaherz höher schlagen lässt. Und Sprüche wie: „Spiritual Gangster“, Good Vibes“ oder „Carma made me do it“, sollen wohl auf die Coolness des Ladens hinweisen. Wenn man bedenkt, dass in Deutschland allein fünf Millionen Menschen von 20.000 Yoga-Lehrern unterrichtet werden, kann man sich bestens vorstellen, dass Spiritualität und Kommerz zwingend keinen Widerspruch mehr darstellen. Zur individuellen Sinnsuche die passende Matte, zur Matte die passende Tasche. Der geschäftlichen Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Bin ich hier etwa beim „Best practice“ in Sachen Yoga-Kommerz gelandet? Abwarten.

Wir sind eine Gruppe von sechs Frauen zwischen 30 und 55, die alle fliegen wollen. Plus die Yogalehrerin, die sehr athletisch daherkommt. Zuerst werden die Seile unserer Größe entsprechend angepasst. Dann geht’s los: Jeder setzt sich in den berühmten Lotus- bzw. Schneidersitz auf seine Matte am Boden und die Lehrerin Claudia klärt uns in wenigen Sätzen, was Aerial Yoga eigentlich so speziell macht. Durch die Schwerkraft könnten auch Yoga-Anfänger in sonst schwierige Umkehrhaltungen kommen und diese ohne Druck auf Nacken, Wirbelsäule und Kopf ausführen. Die Folge sei ein geradezu schwereloses Gefühl auf der Matte mit wohltuenden Effekten für Wirbelsäule, Bandscheiben, Muskulatur, Herz-Kreislauf-System und Kinästhesie. An mir rauschen diese Weisheiten geradewegs vorbei. Wenige Augenblicke später hänge ich kopfüber in der Luft, pendele in der Waagerechten über dem Boden, nicht in luftiger Höhe, aber immerhin ein paar Zentimeter über den edlen Parkettboden.

Erst einmal schaukeln wir alle zusammen – eingehüllt wie in einem Kokon. Diese Entspannungsübung zielt tief auf das Innerste: Auf unser aller Bedürfnis nach Schutz, Spiel, Geborgenheit. „Das Tuch begleitet dich durch diese Stunde. Es ist wie ein Partner, auf den du dich verlassen kannst“, haucht mir die Yogalehrerin ins Ohr. Doch sobald diese zarten Worte ausgesprochen sind, ist es vorbei mit der Gemütlichkeit: Die erste Umkehrhaltung mit Kopf nach unten steht an. Es kostet mich etwas Überwindung, kopfüber nur mit den Beinen im Tuch verschlungen, zu schaukeln. Dann aber lasse ich mich plumpsen. Zuerst sitzt das Tuch schief, dann zwickt es, zu allerletzt schnürt es meine Hüfte ab. Ich versuche diese Widerstände zu ignorieren und harre aus, schließlich weiß ich, wie gut es für die Wirbelsäule ist, wenn sie wie eine Ziehharmonika auseinandergezogen wird und meine Bandscheiben sich wie kleine Schwämme mit genügend Nährflüssigkeit vollsaugen können. Diese Vorstellung motiviert mich durchzuhalten. Es folgen weitere Übungen wie Hüft- und Brustöffner, dann stehen wir wieder gemeinsam Kopfüber. Eine Teilnehmerin stöhnt, eine andere gönnt sich eine Pause. Wiederum welche, scheinen ganz in ihrem Element zu sein. Weiter geht’s: Ich wickle mir das Tuch um die Hüften, lege mich hinein, klammere Beine und Arme daran fest, kreisele, hänge oder schwinge kopfüber wie ein Pendel. Das ist jedoch alles andere als leicht. In abwechselnder Weise schmerzen mir die Kniekehlen, die Achseln oder die Hüften, je nachdem, wo das Tuch gerade sitzt. Auch der Kopf pocht. Kein Wunder, durch die Umkehrhaltungen rinnt das Blut in die entgegengesetzte Richtung. Angeblich ganze zwei Liter. Im Laufe der Stunde mutet ich mir immer mehr zu, setze mich tiefer oder beuge mich weiter vor und lass einfach los.

Im Anschluss der Stunde erfahre ich, dass von den neuen Leuten eigentlich keine wieder kommen will. Klassische Yogaformen auf der Matte seien ihnen lieber, erklären sie unisono. Gekommen seien die meisten aus reiner Neugierde, weil es einfach elegant aussehe. Absoluten Sportneulingen sei an dieser Stelle gesagt: Aerial Yoga ist viel schwerer, als es aussieht.

Gegen Ende der Yogaklasse und vielen Umkehrhaltungen später, heißt es nochmal Entspannen. Endlich, auf diesen Moment hatte ich mich schon nach den ersten Minuten gesehnt. Die Yogalehrerin bittet uns, ins Tuch zu kuscheln, die Augen zu schließen und uns treiben zu lassen. Mit „Hallelujah“ von Rufus Wainwright, das aus den Boxen ertönt, ist das ein Leichtes. In diesem Augenblick empfinde ich ein Stück weit Frieden und Schwerelosigkeit. Genauso, wie ich es mir gewünscht hatte. Viel zu Schnell ist dieser kostbare Moment aber schon wieder vorbei. Schon ruft Claudia zum Abschluss zu: „Genießt die Sonne Münchens.“ Ich schaue beim Fenster raus. Es ist dunkel geworden.